«Die beste Schule fürs Leben.»

Mit 24 Jahren beendet Sylvie Zünd ihre Karriere als Profi-Tennisspielerin. Im Interview spricht die Liechtensteinerin über ihren Entscheid zum Rücktritt, gesundheitliche Rückschläge und den oft wenig glamourösen Alltag zwischen Turnieren und Trainings – aber auch über ihre grössten sportlichen Momente und warum sie ihren Weg trotz allem jederzeit wieder wählen würde. Das Gespräch führte Flurina Ammann.

Kategorie

NEWS

Datum

16. Dezember 2025

Sylvie Zünd, Sie haben Ihren Rücktritt aus dem Profitennis bekanntgegeben. Für viele kam dieser Schritt überraschend. Wann haben Sie für sich gemerkt: Jetzt ist Schluss?

Im Herbst war ich zwei Monate in Südamerika auf Turnierreise. Ich war eigentlich sehr motiviert, hatte klare Ziele und wusste: Diese Turniere sind extrem wichtig, auch mit Blick auf neue Sponsoringverträge für die kommende Saison. Aber als ich dort war, fühlte ich mich vor allem einsam. Ich bin jeden Morgen mit Rückenschmerzen aufgewacht und im Match habe ich nur noch Druck gespürt, keine Freude mehr am Spielen. Zurück zu Hause habe ich mit meinem Mentaltrainer gesprochen und mir auf seinen Rat hin alles nochmals in Ruhe durch den Kopf gehen lassen. Doch schon nach zwei Wochen war mir klar: So will ich nicht mehr weitermachen.

Sie haben gesundheitliche Probleme angesprochen. Begleiten Sie diese schon länger?

Ja, leider. Schon der Schritt von den Juniorinnen ins Profitennis im Jahr 2018 verlief für mich nicht optimal, weil genau in jener Zeit ich am Pfeifferschen Drüsenfieber erkrankte. Die Krankheit hat sich lange hingezogen und seither hatte ich praktisch jede Saison grössere Verletzungen. Im Tennis musst du rund 25 Turniere pro Jahr spielen, um im Ranking vorwärts zu kommen, und das habe ich aufgrund der vielen Ausfälle nie geschafft. Und wenn du mit 24 Jahren jeden Tag mit Rückenschmerzen aufwachst und gleichzeitig weisst, dass du eigentlich topfit sein solltest, nervt es einfach nur noch. Irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem es dich mental auffrisst.

Was hat Sie trotz dieser Rückschläge immer wieder motiviert, weiterzumachen?

Es gab immer wieder Highlights, die ich nie vergessen werde. Beispielsweise mein erstes WTA-Turnier in Brasilien, die Jugendolympiade in Argentinien oder mein Profititel an einem Turnier in Peru. Ich konnte unzählige wunderbare Orte auf der Welt bereisen, habe gegen sehr starke Spielerinnen gespielt und durfte mein Land an kleineren und ganz grossen Turnieren vertreten. Das alles hat mir immer wieder die Energie gegeben, dranzubleiben.

Wie sah Ihr Alltag als Profi-Athletin zuletzt aus?

In den vergangenen drei Jahren habe ich in Barcelona in einer Academy trainiert. Meine Tage bestanden in der Regel aus fünf bis sechs Stunden intensivem Training – Tennis, Ausdauer und Krafttraining. Dazu kamen Dehnen, Regeneration, eine bewusste Ernährung und viele organisatorische Aufgaben rund um Turniere, Reisen und Material. Meistens war nur der Sonntag frei. Rückblickend muss ich sagen: Wir haben zu viel trainiert, körperlich wie mental. Wenn ich etwas ändern könnte, dann würde ich mir zwischendurch bewusst Ferien gönnen, auch wenn andere gerade Turniere spielen.

Sie haben es erwähnt – zu Ihrem Alltag gehörten auch viele Reisen. Wie haben Sie diese erlebt?

Diese Turnierreisen waren natürlich toll und sehr erlebnisreich, aber deutlich weniger glamourös, als sich das viele vorstellen. Ich war schon in sehr jungen Jahren oft allein unterwegs, teilweise in gefährlichen Ländern und meist in einfachen Hotels, weit weg von der Familie. Man reist von Flughafen zu Flughafen, von Hotel zu Tennisanlage, hat kaum Zeit, einen Ort richtig kennenzulernen. Das ist schon sehr einsam – vor allem, wenn man ohne Trainer oder Team unterwegs ist und auf der Anlage kaum Bezugspersonen hat.

Auch finanziell sind solche Reisen sicherlich kein Zuckerschlecken. Hatten Sie Unterstützung von Sponsoren?

Ja, aber gerade am Anfang der Karriere ist es sehr schwer, langfristige Partner zu gewinnen – in einem kleinen Land wie Liechtenstein umso mehr. Gleichzeitig bekommst du Sponsoren oft erst, wenn du schon ein gewisses Ranking hast. Dabei bräuchtest du die Unterstützung genau vorher. Ich hatte zum Glück Partner, die mich über viele Jahre intensiv unterstützt haben. Ohne sie wäre es nicht gegangen. Trotzdem konnte ich es mir fast nie leisten, meinen Trainer auf Turnierreisen mitzunehmen. Ich war im Ausland sehr auf mich allein gestellt – auch was das Training und die ganze Planung betraf.

Wie hat Sie der Weg als Profi-Sportlerin als Mensch geprägt?

Es ist die beste Schule fürs Leben. Egal, wie anstrengend es war, ich würde meinen Weg nie bereuen – höchstens einzelne Schritte. Ich habe gelernt, selbständig zu sein, Reisen zu organisieren und alleine in fremden Ländern zurechtzukommen. Ich habe Sprachen gelernt, unglaublich viel von der Welt gesehen und Freundschaften in vielen Ländern geknüpft. Vor allem habe ich gelernt, mit Druck umzugehen. Der grösste Druck kam nie von meinen Eltern, sondern immer von mir selbst. Die regelmässige Zusammenarbeit mit meinem Mentalcoach hat mir sehr geholfen, diesen Druck einzuordnen. Heute kann ich Stress im Alltag viel besser relativieren.

Wie reagierte Ihr Umfeld auf Ihren Weg im Profisport?

Leider musste ich mich in der Schule oder im Alltag oft rechtfertigen, dass Tennis mein Job ist und nicht einfach ein Hobby. Viele haben nicht verstanden, dass Profisport ein Vollzeit-Beruf ist – mit wenig Lohn, aber enorm viel Leidenschaft und Einsatz. In Ländern wie den USA werden Sportlerinnen ganz anders wahrgenommen und bewundert. Hier habe ich mich manchmal nicht getraut, mit Selbstvertrauen zu sagen: «Ich bin Tennisspielerin, das ist mein Beruf.» Im Nachhinein finde ich das schade, denn für mich war es sogar viel mehr als nur ein Job.

Wie geht es jetzt weiter – und welche Rolle soll Tennis künftig in Ihrem Leben spielen?

Im ersten Moment konnte ich mir nicht vorstellen, direkt als Trainerin weiterzumachen. Ich möchte meinen Horizont erweitern und herausfinden, wer ich ohne Tennis bin. Gleichzeitig habe ich mir über die Jahre ein grosses Fachwissen aufgebaut, das ich gerne weitergeben möchte. Darum gebe ich derzeit ein paar Stunden in einer Tennisschule und arbeite mit Jugendlichen – das macht mir viel Freude und gibt mir Struktur. Parallel schliesse ich meine Ausbildung in Neuroathletik ab. Wo ich in fünf Jahren genau stehe, weiss ich nicht – das macht mir manchmal Angst, ist aber auch eine Chance. Im Moment gehe ich Schritt für Schritt.

Wenn Sie heute auf Ihre Karriere zurückblicken: Was möchten Sie jungen Sportlerinnen und ihren Eltern mitgeben?

Ich würde klar sagen: Achtet auf die Balance. Training ist wichtig, aber zu viel kann kaputtmachen – körperlich und mental. Gönnt euch Pausen, auch wenn andere weiterspielen, und habt keine Angst, auch einmal Ferien zu machen. Und seht Profisport als grossartige, aber harte Lebensschule. Für junge Athletinnen und Athleten ist es entscheidend, dass Familie und Umfeld hinter ihnen stehen, verstehen, was dieser Weg bedeutet, und sie bestärken. Ich bin trotz den vielen Stolpersteinen enorm stolz auf meinen Weg. Er war hart, aber ich habe ihn geliebt – und ich würde ihn wieder gehen.

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